Das Coronavirus fordert jetzt unsere ganze Aufmerksamkeit. Doch die Achterbahnfahrt des Ölpreises bereitet Investoren mindestens genauso viele Sorgen. Vorläufig gibt es an der Tankstelle Grund zur Freude. Doch wenn der Ölpreis weiterhin so niedrig bleibt, kann sich die Finanzwelt auf einen neuen Schock gefasst machen.
Vielleicht verstehen Sie das nicht gleich, weil Sie sich in Quarantäne befinden oder auf Heimarbeit überwechseln mussten, doch das Tanken ist in kurzer Zeit günstiger geworden. Seit einigen Tagen bezahlen Sie für einen Liter Euro95 ungefähr 5 Eurocent weniger als vor einer Woche. Und diese Preisdifferenz kann noch größer werden. Für ein Barrel Nordseeöl werden zurzeit gerade nur noch $ 35 gezahlt. Anfang März lag der Preis bei ungefähr $ 50 und kurz nach dem Jahreswechsel sogar noch bei rund $ 70. Von diesem gewaltigen Preiseinsturz haben Autofahrer jedoch nur wenig mitbekommen. Dies liegt vor allem daran, dass der Benzinpreis zu einem sehr großen Anteil aus Verbrauchssteuern und Raffineriekosten besteht. Doch wenn sich der Ölpreis nicht wieder erholt, werden Finanzmärkte und Währungsmärkte davon noch viel zu spüren bekommen.
Der niedrige Ölpreis droht für kleine amerikanische Mineralölunternehmen zu einem riesigen Problem zu werden. In vielen Ölfeldern ist das Bohren nach Öl bei dem heutigen Marktpreis nicht rentabel. Unternehmen benötigen den daraus stammenden Gewinn jedoch sehr dringend. In den nächsten vier Jahren müssen amerikanische Energieunternehmen der Rating-Agentur Moody’s zufolge Geldanleihen in Höhe von $ 86 Mrd. zurückzahlen oder verlängern. Bei ausbleibendem Gewinn ist es sehr schwierig, neue Kreditgeber zu finden. Es könnte leicht passieren, dass dann Hunderte kleiner Mineralölunternehmen zahlungsunfähig werden. Dies wiederum hat große Folgen für den so genannten Junkbond-Markt, auf dem diese Art riskanter Anleihen verhandelt wird. Es würde nicht das erste Mal sein, dass sich eine Krise auf andere Segmente der Schuldenwelt ausweitet.
Ob es tatsächlich so weit kommen wird, hängt zu einem sehr großen Teil von zwei Männern ab: Wladimir Putin und Mohammed bin Salman. Der russische Präsident Putin verweigerte Ende letzter Woche seine Mitarbeit an Plänen der OPEC, die Ölförderung um 1,5 Mio. Barrel pro Tag zu reduzieren. Das brachte das Image der Organisation erdölexportierender Länder erneut ins Schwanken. Um zu zeigen, dass sich die OPEC tatsächlich verteidigen kann, beginnt der saudi-arabische Kronprinz Mohammed, die Ölförderung stark anzukurbeln. Statt täglich 1,5 Mio. Barrel weniger kommen bald 2 Mio. Barrel mehr auf den Markt.
Die Folgen dieses Spielzugs lassen sich erahnen: der Ölpreis begann sehr stark zu fallen. Kronprinz Mohammed wird in diesem Kampf nicht so schnell aufgeben, was das allerletzte bisschen Macht der OPEC zum Schmelzen bringen wird. Putin ist also jetzt am Zug. Der Rubel ist schon um ungefähr 20 % zurückgegangen. Zum Glück für Putin besitzt Russland jedoch enorme Valutarücklagen. Doch inwieweit will er darauf zurückgreifen, um seinen Marktanteil an Öl zu behalten oder besser noch zu erhöhen? Je länger er damit wartet, desto größer wird der Jubel an der Tankstelle. Der Druck auf dem Junkbond-Markt nimmt jedoch ebenfalls zu. Investoren und Währungshändler können sich auf schwere Zeiten gefasst machen.
Joost Derks ist Währungsspezialist bei iBanFirst. Er verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der Währungswelt. Diese Kolumne spiegelt seine persönliche Meinung wider und stellt keine professionelle (Anlage)-Beratung dar.