Die Devisenmarktteilnehmer reagierten gut auf die Ankündigungen der Zentralbank. Sie lieben die Sichtbarkeit und die hatten sie gestern Abend. Der US-Dollar stieg im Anschluss an die Veröffentlichung der Mitteilung der Federal Reserve an. Seine Gewinne waren jedoch nur von kurzer Dauer. Sie waren erwartet worden. Längerfristig dürfte das geldpolitische Gefälle zwischen der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank einen Anstieg des US-Dollar gegenüber dem Euro begünstigen. Wir gehen davon aus, dass das Währungspaar EUR/USD Mitte 2022 bei etwa 1,09 liegen wird.
Die Inflation bleibt das ganze Jahr 2022 über 3 %.
Die wirtschaftliche Wiedereröffnung, die daraus resultierenden Spannungen in den Lieferketten, Chinas strikte Null-Covid-Strategie und die großen Engpässe auf dem Arbeitsmarkt haben den Verbraucherpreisindex in den USA auf den höchsten Stand seit 39 Jahren getrieben (6,8 % im November in der Jahresveränderungsrate). Die Inflation wird 2022 zurückgehen, aber sicherlich langsamer als von den Devisenmarktteilnehmern und der Federal Reserve erwartet. Letztere schätzt, dass die Inflation im nächsten Jahr auf 2,6 % steigen wird (gegenüber einer früheren Schätzung von 2,2 %). Das ist unserer Meinung nach sehr optimistisch. Die Probleme auf der Angebots- und Nachfrageseite werden nicht über Nacht verschwinden. Die Hersteller von Halbleitern, die insbesondere für die deutsche Industrie so wichtig sind, haben davor gewarnt, dass die Engpässe bis mindestens 2023 andauern könnten. Mehrere Millionen Arbeitnehmer in den USA, die während der Pandemie den Arbeitsmarkt verlassen haben, werden sicherlich nie wieder zurückkehren. Sie nutzten den Anstieg ihrer Rentenfonds im Zusammenhang mit dem beeindruckenden Wachstum der Wall Street, um vorzeitig und beschleunigt in den Ruhestand zu gehen. Dies führte zu einem unerwarteten Bruch bei den Arbeitnehmern, als der Aufschwung nach dem Covid einsetzte. Die Lohnerhöhungen und die Kostensteigerungen bei Vorleistungsgütern, die an die Verbraucher weitergegeben werden, werden weitergehen. Wir gehen davon aus, dass die Inflation in den USA auch 2022 über 3 % liegen wird.
Das Wachstum in den USA wird 2022 zurückgehen. Es wird aber dank der anhaltenden öffentlichen und privaten Investitionen und des erwarteten Anstiegs der Lagerbestände unserer Ansicht nach robust bei etwa 4 % bleiben (gegenüber 6 %, die für 2021 erwartet werden). Ökonomen bezeichnen diesen Zeitraum als Slowflation (geringeres Wachstum bei hoher Inflation). Ein großer Unsicherheitsfaktor ist die Entwicklung der Pandemie. Die Omicron-Variante, die sich in den USA auszubreiten beginnt, wurde in der Mitteilung der Federal Reserve als eines der größten Abwärtsrisiken für das Wachstum genannt. Die Federal Reserve dürfte ihre Geldpolitik weiter normalisieren, um die Inflation zu bekämpfen. Sie sollte dies jedoch mit Bedacht tun, um die Wirtschaftsaktivität nicht zu bremsen. Wir rechnen mit drei Zinserhöhungen im nächsten Jahr, wobei die erste Zinserhöhung im Mai beginnen wird. Die Feinsteuerung der Geldpolitik dürfte dafür sorgen, dass die akkommodierenden Finanzbedingungen beibehalten werden (dies wird der Schlüsselpunkt sein, den es in den kommenden Monaten zu beobachten gilt) und der Inflationsdruck allmählich abnimmt.
Im November dieses Jahres finden in den USA die Zwischenwahlen statt. Alle Sitze im Repräsentantenhaus werden neu vergeben, ebenso wie 34 der 100 Sitze im Senat (14 werden derzeit von Demokraten und 20 von Republikanern gehalten). Die Umfragen sind für die Demokraten und Präsident Joe Biden ungünstig. Ihnen werden zwei Dinge vorgeworfen: Sie schaffen es nicht, den Preisanstieg einzudämmen, und sie vertreten in gesellschaftlichen Fragen manchmal zu radikale Positionen (Cancel Culture, Wokismus usw.). Sofern es nicht in letzter Minute zu einer Kehrtwende kommt, dürften die Demokraten die Kontrolle über den Kongress verlieren. Dies würde automatisch den Spielraum der Biden-Administration einschränken, um weitere Reformen durchzusetzen. Der Präsident wäre gezwungen, sich stärker auf die Handelspolitik und die internationalen Beziehungen zu konzentrieren - zwei Bereiche, die er bislang an seine Vizepräsidentin Kamala Harris delegiert hat. Protektionismus könnte im nächsten Jahr ein Thema auf dem Diskussionstisch sein. Letzte Woche deutete Finanzministerin Janet Yellen an, dass eine Dosis Protektionismus notwendig sein könnte, um die US-Wirtschaft zu stützen.
Unsere Szenarien für das Währungspaar EUR/USD im Jahr 2022 :
PESSIMISTISCHES SZENARIO | ZENTRALES SZENARIO | OPTIMISTISCHES SZENARIO | |
Inflation/Wachstum | Hohe Inflation und Stagflation in einigen Ländern | Hohe, aber langsam sinkende Inflation, rückläufiges, aber nachhaltiges Wachstum | Inflation ab Anfang 2022 rückläufig, hohes Wachstum entsprechend der veröffentlichten Prognose Ende 2021 |
Geldpolitik | Zentralbanken werden dafür kritisiert, dass sie den Inflationsanstieg nicht verhindert haben. Ihre Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt | Geldpolitik weniger akkommodierend, aber Finanzbedingungen bleiben gut | Die Normalisierung der Geldpolitik erfolgt langsam, die Zinsen bleiben niedrig |
COVID-19 | Auftreten neuer gefährlicher Varianten | Die Pandemie ist unter Kontrolle | Pandemie unter Kontrolle, neue Impfstoffe wirksam gegen die Omicron-Variante |
Geopolitik | Verschärfte geopolitische Spannungen (z. B. Ukraine/Russland, China/Taiwan) | Nachlassen der geopolitischen Spannungen | Nachlassen der geopolitischen Spannungen |
Prognose EUR/USD bis Mitte 2022 | 1,03 | 1,09 | 1,20 |